DJGB Interview


Interview mit Rita Böhm, Sumi-e-Meisterin und Mitglied der DJGB

aus dem „Kawaraban 2022 5/6“ der Deutsch-Japanischen Gesellschaft Berlin e.V.

Das Interview wurde von unserer Praktikantin Aleksandra Dryja mit Rita Böhm in ihrem Atelier geführt

 

Frau Böhm, wie sind Sie auf Sumi-e gekommen?

Ich praktizierte bereits seit 15 Jahren Zen-Meditation in einem japanischen Tempel in Sao Paulo – Brasilien. Ein Freund erzählte mir von einem berühmten Sumi-e Meister, der dort unterrichtete. Nach einigem Zögern, bin ich schließlich hingegangen. Ich sah einen kleinen alten Mann, der wie ein Gott malte – schlecht gelaunt und voller Ego. Aber er war irgendwie ganz fantastisch und da wusste ich, dass ich meinen Meister gefunden hatte. Nach dieser ersten Begegnung wurde ich 15 Jahre lang seine Schülerin und später Assistentin.

Die japanische Ästhetik hat mich schon seit meiner Jugend angesprochen und auch meine Ausbildung als Architektin beeinflusst.

Mit 21 Jahren floh ich aus meinem Geburtsort Leipzig in den damaligen Westen. Das Einzige, was ich damals aus unserer Wohnung mitnahm, waren 3 Sumi-e Bilder, die noch heute in meinem Atelier hängen. Diese 3 Bilder haben mich durch die ganze Welt begleitet.

Warum haben Sie gerade die japanische Kunst gewählt, obwohl Sie in so vielen verschiedenen Ländern gelebt haben?

Ich glaube an eine Reinkarnation in einem früheren Leben in Japan. Seit meinem 35. Lebensjahr bin ich Zen-Buddhistin und meditierte in Zenklöstern auf der ganzen Welt. Das ist ein harter Weg. Doch wurde ich erstaunlicherweise von allen Zenmeistern hervorragend behandelt. Einmal wunderte sich ein Mönch über meine Sonderbehandlung. Er fragte den Meister „Warum?“ und die Antwort lautete: „ Die Rita braucht die Disziplin nicht, die ist schon „ Bushido“( Bushido ist der Weg des Kriegers, der Weg des Zens).

Meine Meister haben gesehen, dass ich schon immer auf dem Weg der Zen-Philosophie war. Von Geburt an sind die Tugenden des Samurais in mir verkörpert, obgleich ich in Deutschland geboren bin. Ich identifiziere mich völlig mit dieser Mentalität. Meine Familie hatte dafür kein Verständnis.

 

Was hat Sie dazu bewogen, wieder nach Deutschland zu kommen?

Das war ein sehr seltsames Ereignis. Mein Sumie Meister, Massao Okinaka, hat einmal beim Unterricht plötzlich aufgesehen und gesagt: „Die Rita wird eines Tages eine große Sumi-e Schule in Berlin haben und mein Foto wird dort hängen“. Zu diesem Zeitpunkt kannte er mich persönlich noch kaum.

Daran erinnerte ich mich, als mein damaliges Leben in den USA mich nicht mehr befriedigte und nachdem ich die verschiedensten Ecken der Welt schon ausprobiert hatte (Lachen). Ich bin jetzt seit 2001 hier. Soviel Erfolg wie in Deutschland habe ich als Sumi-e Meisterin nirgendwo in der Welt gehabt. Als ich nach Berlin kam, kannte kein Mensch alleine das Wort „Sumi-e“.

Durch meine künstlerische Arbeit, meine Livedemonstrationen, Ausstellungen und meine Arbeit als Lehrerin gibt es heute in Deutschland (und im Ausland) hunderte von Menschen, die sich für die Sumi-e Kunst begeistern.

Und das ist mir sehr wichtig, da diese wunderbare Kunst in Japan allmählich ausstirbt. Es gibt kaum noch alte Meister und die japanischen Künstler beschäftigen sich fast alle nur noch mit westlicher und moderner Kunst.

Ich spüre in mir auch einen Auftrag meiner beiden Zenmeister (Igarashi Tokuda und Sumi-e Meister Massao Okinaka), diese Kunst ins Ausland zu bringen, damit sie nicht ausstirbt. Und ich denke, das ist mir bis jetzt gelungen.

 

Was haben die Sumi-e Kunst und der Zen-Buddhismus gemeinsam?

Einfachheit und innere Leere zu erreichen, sind Hauptziele bei der Zen-Meditation und Sumi-e ist eine perfekte künstlerische Form um das auszudrücken. Es war für mich der ideale Weg, die Lehre des Zen zu vertiefen, weiter zu erlernen und weiterzugeben.

 

Zen und Sumi-e liegen also sehr nah beieinander?

Ja, die passen perfekt zueinander. Obwohl die Tuschmalerei aus China stammt, hat sie in Japan einen besonderen Ausdruck bekommen. Diese Kunst wurde dort zuerst von den Zenmönchen ausgeübt und bekam dadurch eine eigene Note – wurde zum Sumi-e – Weg. (wörtlich: Malen mit schwarzer Tusche).

 

Was ist Ihrer Meinung nach der wichtigste Aspekt der Sumi-e Kunst?

Das ist eine gute Frage. Ich würde sagen, eine innere Einstellung. Und nicht das sogenannte von Anfang an vorhandene künstlerische Talent. Es geht vielmehr darum, wie die Person die Welt sieht, wie sie sich ausdrücken will und ob ihr dieses künstlerische Mittel dafür recht ist. Dies ist weitaus wichtiger, als toll zu zeichnen oder unheimlich kreativ sein zu wollen. Sumi-e ist viel mehr als eine Kunst. Sie ist auch ein Weg zu Frieden und Harmonie im Sinne des Zen-Buddhismus. Nicht, das man dazu unbedingt ein praktizierender Zenbuddhist sein muss, aber man sollte die Grundelemente, wie Liebe zur Natur, zur Einfachheit, zum Ideal der Leere verstehen und lieben.

In der Sumi-e Malerei wird oft mehr durch den leergelassenen Malgrund als durch das Gemalte ausgedrückt. Das Tun, der Strich ist praktisch nicht wiederholbar und muss mit einer Bewegung sitzen. Korrekturen sind nicht möglich. Die Sumi-e Kunst ist das Äquivalent des künstlerischen Tuns im hier und jetzt. Das ist die Essenz der Sumi-e Malerei.

 

Was wollen Sie durch Ihre Kunst dem Betrachter übermitteln?

Ich persönlich möchte dem Betrachter nur eins übermitteln: die Liebe zur Natur. Für mich ist das der wichtigste Aspekt meiner Tuschmalerei. Und das auf die einfachste und direkteste Weise.

 

Wie beeinflussen sich Zen-Buddhismus und Sumi-e Kunst? Glauben Sie, daß Ihnen Sumi-e erlaubt, Zen in einer anderen Weise zu verstehen?

Durch meine Sumie-Lehre bekommen die Menschen viel vom Sinn des Zen mit. Sie haben dann ein besseres Verständnis für diese Philosophie. Ich mische aber beim Unterricht diese beiden Dinge nicht unbedingt. Ich stelle mich niemals als eine ZenMeisterin dar. Das will ich auch nicht sein. Aber durch die Ausübung dieser Kunst bekommen meine Schüler einen Einblick in das, was Zen uns lehrt. Jeder Strich, den man macht, ist praktisch das „hier und jetzt“. Besonders verbindet Zen und Tuschmalerei der Begriff der Leere. Das ist für viele beunruhigend und schwierig. Die westliche Kunst hat das „Bedürfnis“, alles voll zu bemalen. Während wir im Sumi-e fast 2/3 des Blattes leer lassen. Nur durch die wenigen Striche, muss die Essenz des Objektes dargestellt werden. Das andere bleibt der Fantasie des Betrachters überlassen. Dieser weiße Raum, der praktisch das Zen-Ideal des Nicht-Denkens ausdrückt, beinhaltet so viel mehr als das Gemalte.

Eine der schwierigsten Übungen in der Sumi-e Lehre ist deshalb die Komposition. Die wirkliche Herausforderung dabei ist, mit wenigen Strichen das Eigentliche auf das weiße Blatt zu übertragen. Menschen wollen normalerweise in den Vordergrund stellen, was sie tun, was sie malen und das zu ändern gehört zur Zenpraktik.

 

Welche Bedeutung hat der limitierte Einsatz von künstlerischen Mitteln?

Beim Sumi-e Malen suchen wir die Essenz von etwas auszudrücken. Mit den einfachsten Mitteln (Papier, Tusche, Wasser und Pinsel), oft nur in Schwarz-Weiß. Wenn wir aber Blumen malen, ist für mich die Farbe die Essenz der Blume und ich male dann mit Farben. Das ist aber meine persönliche Vorliebe.

Alle meine Schüler lernen dieselben Striche, dieselben Motive, aber jeder entwickelt seinen eigenen Stil. Das ist mir sehr wichtig. Viele meiner Schüler malen so, dass man nicht glaubt, sie hätten bei demselben Meister gelernt. Jeder drückt seine Persönlichkeit beim Malen aus. Bei mir geht es nicht um das „Malen wie ein Gott“, es geht darum, dass es Freude macht. Meine Schüler sagen mir oft, dass Sumi-eUnterricht die schönste Zeit der Woche sei; dabei könnten sie alle Probleme vergessen.

 

Ist Sumi-e eine Art der Meditation?

Ja, Du fängst an zu Malen und danach hälst Du Dein Gehirn frei von allen unnötigen Gedanken, konzentrierst Dich nur auf Dein Tun. Grade für Menschen, die mit Arbeit überlastet sind, ist das so wichtig. Es ist eine Art Therapie, wie die Zen-Meditation selbst

 

Holen Sie sich die Inspiration aus Ihrer Umgebung?

Ja, ich male sozusagen alles, was mir in die Augen fällt. Alle Pflanzen, Tiere, Landschaften, dagegen Menschen kaum. Natürlich gibt es im Kanon der Tuschmalerei bestimmte Motive, die man immer wieder malt. Ansonsten ist die Bandbreite offen.

 

Was sind typische japanische Motive?

Die 4 wichtigsten Motive, genannt „die 4 Edlen“ sind Bambus, Pflaume, Chrysantheme und Orchidee. Jedes Mal lernt man durch Wiederholen einen neuen Strich.

 

Haben Sie ein Lieblingsmotiv?

Tiger. Grade passend zum Jahr des Tigers (chinesisches Tierkreiszeichen für 2022)

 

Verreisen Sie oft, um sich Inspirationen zu holen?

Ich habe in 8 Ländern gelebt und reise trotzdem noch heute ans Ende der Welt um gewisse Motive live zu studieren.

Zum Beispiel war ich vor ein paar Jahren in Brasilien, ganz oben am Amazonas, um Wasserbüffel (die dort zu Tausenden auf Marajo leben) zu studieren. In China kletterte ich im Huanshan-Gebirge, um dort die ganz besonderen Gebirgsformen, die so oft dargestellt werden, zu malen.

Ich orientiere mich absolut an der Natur, bin eine Naturliebhaberin par Excellenz. Meine besondere Fähigkeit im Sumi-e ist, dass ich meine Liebe für die Natur so lebensecht wiedergeben kann.

Ich sage immer, dass ich eigentlich keine Künstlerin bin, nur eine Naturliebhaberin, die malt.

Diese Liebe muss man beim Malen spüren, eins zu werden mit dem zu malenden Objekt. Das versuche ich meinen Schülern beizubringen. Wer zu mir kommen will, muss überhaupt nichts können. Zu mir kommen ganz normale Menschen, die vorher noch nie etwas gemalt haben. Sie müssen aber ihrer Liebe zur Natur Ausdruck geben wollen. Das ist mir wichtig. Alles andere kann ich Ihnen beibringen.

Erstaunlicherweise kommen auch oft ältere Menschen, die noch nie gemalt haben zu mir, um Sumi-e zu erlernen. Sie malen dann nach einiger Zeit hervorragend und sind glücklich, sich künstlerisch ausdrücken zu können.

Und besonders diesen Menschen die Kunst des Sumi-e zu lehren bereitete mir große Freude.